Dienstag. [2. IX. 42] Lieber Nathan! Ich habe mich sehr mit Ihrem Brief gefreut und bin überzeugt, dass Sie recht gethan haben, diese temporäre Stellung anzunehmen. Denn dies gibt Ihnen Zeit, erleichtert Ihre innere Spannung, und was Sie aufgegeben haben, ist ja auch nicht übermässig gesichert. Auf lange Zeit kann man ja heutzutage seine Entschlüsse ohnehin nicht einrichten, denn wer weiss was bevorsteht. Ich hoffe, dass dieser Wechsel Sie öfter zu uns führt, und dass er Ihr Leben ruhiger gestalten wird. Wir haben hier eine ruhige Zeit gehabt und waren alle ordentlich beisammen, Margot auch einigermassen. Ich habe zwar gerade eine neue Celebration mit der Gallenblase knapp hinter mir, aber sonst ging es recht gut, mit der Arbeit und mit dem Segeln. Die Besuche waren nicht gerade so angenehm (ausser Prof Ehrmann), wie Sie aus meinem Gedichtlein ersehen haben werden, das Ihnen Frl Dukas wohl gesandt hat. In der grossen Welt sieht es nach wie vor böse aus, wenn auch besser als voriges Jahr. Das Schicksal der europäischen Judenheit ist aber schauderhaft. Was kann da überhaupt noch übrig bleiben? Ich habe auch den Eindruck, dass man Russland erfolgreicher beistehen könnte, wenn man ernsthaft wollte. Trotz allem glaube ich, dass Russland trotz der furchtbaren Opfer gestärkt und mit einem mächtigen Prestige aus dem Kriege hervorgehen wird. Es wird allmählich auch den Dummen aufgehen, dass dieser Weg der Abschaffung des Privatkapitals der einzig Mögliche ist. Ob wir aber bis dann nicht auch erschlagen sein werden? Nun, in Gottes Namen! Ich las wieder viel Veblen. Sein letztes Werk „Absentee Ownership“ entwirft ein grausiges aber überzeugendes Bild der ökonomischen Zustände in interessanter historischer Beleuchtung. Ich mache Fortschritte, habe aber immer noch keine Überzeugung, ob ich den richtigen Grundgedanken erwischt habe. Der Dienst an der Wahrheit ist schön aber hart! Seien Sie herzlich gegrüsst von Ihrem A. E. [ALS]